Czernin

Alfred J. Noll

Kein Anwalt für Antigone!

Recht wider Recht in der „Antigone“ des Sophokles

Alfred Noll rekonstruiert, welche Interessen und Rechtsansprüche in dem ca. 2500 Jahre alten Stück Antigone von Sophokles aufeinanderprallen. Das Buch plädiert dafür, Antigone aus Vernunftgründen weniger sympathisch zu finden und dennoch ihre Auflehnung gegen die tyrannische Allmacht zu würdigen.

Hat das von Antigone herbeizitierte „ewige göttliche Recht“ Vorrang vor dem staatlichen Gesetz, mit dem Kreon die Beerdigung von Antigones Bruder Polyneikes verbietet? Oder geht es hier gar nicht um Rechtsansprüche, sondern nur um die Erkenntnis der göttlichen Einrichtung der Welt, an die sich die Menschen bei Strafe der Zerstörung halten müssen? Ist der Streit zwischen Kreon und Antigone ein Streit zwischen dem Recht des Staates und dem Recht des Blutes bzw. der Familie? Ist Antigones Beharren auf die Gültigkeit der göttlichen Gesetze gegenüber Kreon noch zeitgemäß? Warum haben sich von Hölderlin bis Hegel, von Hofmannsthal bis Brecht, von Cocteau bis Anouilh so viele von Antigone begeistern lassen? Anhang: Friedrich Hölderlins Antigone-Übertragung

 

Leseprobe:

Tragödien haben – nicht nur aus unserer Sicht – stets etwas Vorgestriges. Gewiss gab es zuvor die archaischen Lyriker, es gab Homer, und es gab Hesiod. Sie alle haben die Fundamente gelegt für eine „moderne“ Selbstinterpretation des Menschen. Aber das, was wir heute unter ganz verschiedenen Titeln und Rubriken als das Allgemein-Menschliche identifizieren, das wurde von den Tragikern des 5. Jahrhunderts „erfunden“. Dass der Mensch einen Körper und einen Geist, dass er Leib und Seele hat, das ist für unser europäisches Denken erst seit damals selbstverständlich.