Czernin

Leopold Schwarzschild
Andreas Wesemann

Chronik eines Untergangs

Deutschland 1924-1939

Kaum jemand in Europa kommentierte so scharfsinnig den Niedergang der Weimarer Republik, verstand das Wesen von Hitlers Diktatur so klar wie Leopold Schwarzschild. „Chronik eines Untergangs“ erinnert an die einzigartige publizistische Tradition der Zeitschriften “Das Tage-Buch” und “Das Neue Tage-Buch” die nach dem 1. Weltkrieg in Berlin und ab 1933 im Pariser Exil als unverzichtbare Quelle für die Vorgänge in der Weimarer Republik und im Dritten Reich galt.

Wenig mehr als ein Jahr nach Geburt der Weimarer Republik gründete Stefan Grossmann 1920 „Das Tage-Buch“. Alles, was im Deutschland der Zwischenkriegszeit Rang und Namen als Schriftsteller, Journalist und Polemiker hatte, traf sich im „Tage-Buch“. Knapp ein Jahr nach der Gründung stieß der Wirtschaftsjournalist Leopold Schwarzschild zu Grossmann und kommentierte von da an den politischen und wirtschaftlichen Niedergang der Republik. Als Schwarzschild 1933 nach Paris emigrieren musste und mit Hilfe eines holländischen Anwaltes dort „Das Neue Tage-Buch“ begründete, etablierte er sich von Anfang an als die verlässlichste Quelle für die Vorgänge im Dritten Reich und die Pläne von Hitlers Deutschland – und das in einem Ausmaß, dass weder Winston Churchill noch das französische Außenministerium auf die Lektüre der Zeitschrift verzichten konnten. Das vorliegende Buch dokumentiert diese Unverzichtbarkeit und führt den Leser an die Katastrophe der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts heran.

 

Leseprobe:

In der ersten Ausgabe des Neuen Tage-Buchs im Sommer 1933 beschrieb Schwarzschild das sine qua non des Nationalsozialismus: „Was auch geschehe, eines steht schon heute außer Frage: dass zu den angeborenen und unabänderlichen Wesenszügen der neuen Ära ein unablässiges, moralisches und materielles Hingleiten zu irgendwelchem kriegerischen Zusammenstoß gehört. Der Komplex Krieg ist das einzige Gebiet, auf dem die nationalsozialistische Theorie vollkommen klar und harmonisch ist […].“ Ein Jahr später sprach Schwarzschild dann seine dringlichste Warnung aus: „Einige Monate bleiben noch als letzte Frist, die Fehler von vierzehn Jahren wieder gutzumachen. In diesen paar Monaten um jeden Preis den Fortgang der deutschen Bewaffnung zu drosseln, ist die Weltaufgabe, die überwältigende. In ihr kristallisiert sich die Rettung der Völker. […] Mit Gewalt und doch ohne Krieg läßt sich noch heute der Eilmarsch Europas zum Vernichtungskrieg bremsen. Aber nur mit Gewalt. Und nur noch einige Monate. Nach Ablauf dieser Monate braucht noch nicht der Krieg zu kommen, das kann sich noch viel länger, noch jahrelang hinziehen. Nach Ablauf dieser Monate ist nichts mehr zu bremsen.“ Als im März 1935 durch die Heeresproklamation die aufgerüstete Armee und Luftwaffe des deutschen Reiches der Welt präsentiert wurde, geschah dies genau zu dem Zeitpunkt, den Schwarzschild als den Rubikon festgelegt hatte, der, wenn einmal überschritten, Krieg bedeuten würde. Die chronischen Versorgungsschwierigkeiten der Wehrmacht verdeutlichen, dass hier nichts von Anfang an „verloren“ war. Ebenso kann man zu diesem Zeitpunkt noch nicht von einer eindeutigen militärischen Überlegenheit Deutschlands sprechen. Doch ab 1935 war seine relative militärische Stärke derart groß, dass erst ein blutiger Krieg zwischen Deutschland und einem westlichen Bündnis die Parität wieder herstellen konnte.