Czernin

Matthias Mander

Garanas

oder Die Litanei

Das Buch „Garanas oder die Litanei“ ermutigt, dem ökonomischen Zynismus, dem antiseptischen sozialen Desinteresse der Makrofunktionäre entgegenzutreten. Benedikters Denken und Schreiben, Reden und Handeln lehren, einen heckenumwehrten Raum gegen plündernde Horden zu verteidigen, die die Dornbuschwehr letztlich nicht überwinden sollen.

Der aus Garanas gebürtige Johann Zisser - Buchhalter in den Wiener Taborwerken - wird unverschuldet und unwillentlich in drei verhängnisvolle Wirtschaftsunglücke hineingestoßen: Er verliert durch einen betrügerischen Häuserschieber seine Wohnung, durch einen gefinkelten Anlegebetrug seine Ersparnisse und er verliert schließlich durch eine krasse industriewirtschaftliche Fehlentscheidung seinen Arbeitsplatz in den Taborwerken. Mittel- und illusionslos muss er zu einem Vetter in dessen Garanaser Waldkeusche flüchten. Mitgefühl für das Schicksal hunderter Menschen - wie er selbst Opfer der Malversationen: einstige Wohnungsnachbarn, frühere Mitsparer, entlassene Arbeitskollegen - und die Verteidigung der eigenen Existenz zwingen ihn das Geschehen aufzuarbeiten, mehr noch: durchzukämpfen. Aber nicht nur sprachlich, wissenschaftlich, moralisch, sondern auch kriminologisch, juristisch, strategisch.

 

Leseprobe:

„Der Klavierspieler Stauchner erklärte auf die Frage, wieso man ihn tagelang nicht mehr üben höre, er könne seit dieser Hintergehung nicht mehr musizieren: „Nicht nur aus Sorge um mein Unterkommen, irgendwie werde ich wieder ein Dach über dem Kopf und vier Wände um meinen Tisch, mein Bett und mein Klavier haben, nein, dass ich in diesen Tagen nicht Klavier spielen kann, hängt nicht mit meiner absehbaren Delogierung zusammen: Es ist eine Trübung, Verdunkelung meines Bewußtseins! Was bin ich doch für eine lächerliche Figur, die hier wochenlang Beethoven-Sonaten, Klavierkonzerte von Mozart und Liszt einstudiert, voll Hingabe die Kunst erschließen will, während gleichzeitig ohne mein Wissen oder auch nur Ahnen in der wirklichen Wirklichkeit die plumpste Raubmechanik ablaufen kann, die mich zuletzt als wehrlosen Idioten in die Straße hinausspeit. Nicht einmal eine Plache für mein Klavier habe ich. Tschaikowsky hin und Schubert her, ich bin ein Irrläufer in einer Welt, wo ein mieser Rechtsanwalt meine Existenz mit einem Fingerschnalzer vernichtet! Bin ich ein tönesüchtiges Halbwesen, das nicht imstande ist, seinen winzigen Lebensplatz zu sichern. Ich schäme mich vor meinem Klavier.“ Mitten in diese entsetzlichen Tage platzte der Bescheid der Baupolizei, wonach der Dachstuhl in der Westneigung - also Richtung Taborstrasse - schleunigst erneuert werden müsse, widrigenfalls die Nutzungsgenehmigung erlösche. Da die Galluntersche Hausverwaltung nicht mehr erreichbar war, wurde der Bescheid am Haustor aussen und innen angeschlagen. Ein paar Telefonate klärten leider: Die aus den monatlichen Betriebskostenzaglungen der Bewohner angesammelte Reperaturrücklage von etwa drei Millionen Schilling war selbstverständlich auch verschwunden… Der Konsumentenschutzverband stellte immerhin gratis einen Rechtsbeistand. Wie beim Besuch im Altenheim mußte Benedikter für die fast erblindete Frau Robathin - seine Leidensgenossin im Wohnungsverlust - in zehn Nähnadeln die Fäden einziehen, ehe er sich verabschiedete und wieder einmal mit dem vollbeladenen Auto nach Garanas fuhr. in der Greisenzelle Annas mit der winzigen Essenschleuse steckten die eingefädelten Nadeln in Gesichtshöhe im kleinen Wandteppich an der Zimmertür.