Czernin

Alfred Dorfer
Joachim Riedl (Hg.)

Donnerstalk

Herausgegeben von Joachim Riedl

Satire ist ein hartes Geschäft. Sie soll der Realität Paroli bieten, doch die Realität ist ein Hochstapler und lässt nichts unver-sucht, die Satire an Absurdität zu überbieten. Dies zu entlarven ist die Aufgabe des Satirikers. Vor dieser Herausforderung steht Alfred Dorfer jede Woche, wenn er in seiner Glosse „Donnerstalk“ für die Österreich-Seiten der „Zeit“ das Resümee des alltäglichen Irrwitzes zieht.

Diese kleinen publizistischen Widerstands-nester sind für den Tag geschrieben, doch sie reichen weit über die Zeit hinaus. Sie sind Momentaufnahmen, die zwar nur einen Ausschnitt des lächerlichen Sittenbildes zeigen, aus dem Österreich besteht, aber es dennoch in seiner Gesamtheit zu veranschaulichen wissen.
So ist dieser Band mit den besten ZEIT-Glossen von Alfred Dorfer ein schillerndes Mosaik, in dem all die großen und die kleinen Gauner, die dummen und die dreisten Figuren verewigt sind, die dieses Land so unver-wechselbar machen.

 

Leseprobe:

Regiert muss werden

In Belgien fordern die Wähler bei Demonstrationen eine Regierung. Keine neue, sondern überhaupt eine. Wie glücklich muss ein Volk sein, um auf die Straße zu gehen, damit wieder Minister amtieren. Oder anders gefragt: Was müsste in Österreich passieren, damit das Land eine ähnliche Protestwelle erfasst? Da es hier stets eine funktionstüchtige Regierung gab, weiß felix Austria gar nicht, was ihm entgeht. Der tägliche Zank, die kleinen Peinlichkeiten, die endlosen Debatten über zwar abgedroschene, aber scheinbar unlösbare Probleme, die verblüffenden Meinungsschwenks führen hierorts im Regelfall nur zu verwundertem Kopfschütteln. Wenn all das aber fehlt, wird die trügerische Ruhe offensichtlich als ein erhebliches Manko in der Alltagskultur empfunden. Das spüren die Belgier nun schmerzlich. Sie demonstrieren also für mehr Unterhaltung. Sie fordern demokratische Grundrechte zurück: das Recht auf das Amüsement, das ihnen die Torheit der Mächtigen beschert, und das Recht auf Empörung. Dafür zahlt man schließlich Steuern, dafür lohnt es sich, die Mühen der Demokratie auf sich zu nehmen. Wohin käme man denn, wenn urplötzlich die Triebfeder staatsbürgerlicher Wut fehlte, weil niemand mehr regieren will. Unvorstellbar, sollte der Finanzminister nicht mehr an der Steuerschraube drehen wollen, der Sozialminister keine Beihilfen mehr streichen, die Innenministerin niemanden mehr aus dem Land jagen lassen. Wen könnte man dann verantwortlich machen dafür, dass alles den Bach runtergeht?