Czernin

Klaus Kamolz
Christian Seiler

Die Böhmische Küche

Das Edle Kochen

Über die Tante Jolesch läßt sich fein lachen, über den Soldaten Schwejk ebenso. Aber hat schon einmal jemand darüber nachgedacht, daß diese beiden Klassiker auch im eigentlichen Sinn kulinarische Bücher sind?

Eine böhmische Literatur ohne ausführliche Abhandlung des kulinarischen ist undenkbar. Daran will dieses Buch ehrfürchtig erinnern. Es will aber auch zeigen, dass die in den vergangenen Jahrzehnten ein wenig unterdrückte böhmische Küche heute ebenso bestehen kann wie damals. Die böhmische Küche schreit nach Rehabilitierung – und der Versuch zahlt sich aus. In vergilbten Schreibheften und abgegriffenen Nüchern, in Briefen oder im Gedächtnis älterer Tschechinnen harren Küchenschätze ihrer Hebung. Um das zu beweisen,hat der geeignete Mann seine besten Rezepte zur Verfügung gestellt: Vratislav Krivák, der Küchenchef des Restaurants „Zu den drei Buchteln“ in Wien. Guten Appetit!

 

Leseprobe:

Im Eßzimmer hängt ein Bild von Urgroßvater, ein mit weißem Farbstift gehöhtes Foto, dessen Holzrahmen längst abblättert. Urgroßvater sieht etwas komisch aus, wenn man bedenkt, daß das Foto irgendwann gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden ist. Er trägt einen leicht angedeuteten Mittelscheitel, und sein Haupthaar hängt, die Spitzen behutsam nach innen gekämmt, über beide Ohren. Vater nennt ihn den „ersten Beatle“, aber er war alles andere als ein Rebell seiner Zeit. Urgroßvater arbeitete als Maschinist in einem böhmischen Kohlebergwerk, verlor bei einem Grubenunglück beide Ohren und war halt auch ein bißchen eitel. Wie das mit den Ohren geschehen konnte, hat nie jemand von uns herausgefunden. Aber die Frisur steht ihm gut, sie verleiht ihm einen gewissen Oscar-Wilde-Touch. Das Bild hängt instinktiv im Eßzimmer, denn so kann Urgroßvater, der Pilzkopf, ständig darüber wachen, was aus der kulinarischen Tradition geworden ist, die er begründet hat. Aus seiner Zeit stammt jenes Rezept, das die Familie seit damals alljährlich zu Weihnachten in einen emsig umherwuselnden Ameisenhaufen verwandelt. Die Zubereitung von Egerländer Knödeln ist ein Familienritual und angesichts der Tatsache, daß es sich bei den Knödeln nur um die Beilage zur Gans handelt, mag ihre Herstellung als fast nicht mehr zu rechtfertigender Aufwand gesehen werden. So redet allerdings nur jemand, der sie noch nie gegessen hat.